Gedanken des Künstlers Jorge Hidalgo zum Kontext des Wandbildes: Nachhaltigkeit ist ein Modewort, das immer wieder benutzt wird, um die politische Unfähigkeit zu verschleiern, die Welt in eine ökologischere, gerechtere und solidarischere zu verwandeln.
Internationale Konflikte werden provoziert und gelenkt, um die unterschiedlichen Denkweisen zu radikalisieren, die Folgen sind immer gravierender, vor allem für Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen. Alles wird gekauft und verkauft, die Ethik wird von transnationalen Unternehmen geprägt, Transparenz ist nur noch im Infrarotlicht sichtbar, die Menschheit balanciert auf einem Drahtseil, die westliche Perspektive ist unantastbar. Nicht-westliche Denkweisen werden ignoriert oder auf Primitivismus reduziert.
„So brennt die Erde, ein tiefer Abgrund reißt sie auseinander,
der Amazonas steht in Flammen, die natürlichen Ressourcen werden von transnationalen Unternehmen geplündert
Krieg kommt und geht, Macht ist investiertes Geld
Nachhaltigkeit an die Wand gemalt
während kleine Welten Tag für Tag für eine neue Welt kämpfen für
eine neue Welt mit mehr Solidarität, Gerechtigkeit und Souveränität
diese Welten wehren sich gegen den übermäßigen Konsum
und kämpfen für ihre Grundrechte
es gibt nur eine Erde – man spielt nicht mit ihrUmtausch ausgeschlossen! “
Jorge Hidalgo
Imagefilm
Bildbeschreibung
Das Wandbild besteht auf den ersten Blick aus zwei Teilen bzw. aus zwei verschiedenen Arbeits- Prozessen. Auf der rechten Seite der partizipative Prozess, also das partizipative Mural, eine Variante des sogenannten Mural comunitario – „Mural der Gemeinde“ – dessen Vorgehensweise noch komplexer ist. Auf der linken Seite der kreative individuelle Prozess.
Beschreibung rechte Wandseite
Das Wandbild „Du kannst das Blatt wenden“ entstand in einem Partizipationsprozess, an dem sich zahlreiche Schüler*innen des Ratsgymnasiums beteiligten. Nach einer langen Phase der Diskussion, des Dialogs und des Austauschs bildeten verschiedene Ideen und Konzepte zu den Weltnachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) und deren Umsetzung in die Praxis die Grundlage des Wandbildes. So entstanden zunächst individuelle und Gruppen-Skizzen. Danach wurden in wechselnden Gruppen sechs große Skizzen erstellt, die durch Austausch und ständigen Dialog entwickelt wurden. Diese sechs Skizzen wurden dann zu einer Gesamtkomposition zusammengeführt, die wiederum in zwei Seiten geteilt ist. Auf der einen Seite die negativen Aspekte und Probleme, auf der anderen die positiven Aspekte bzw. Lösungen. So sieht man auf der linken Seite z.B. die negativen Auswirkungen des Klimawandels, von Krieg, Flucht, Konsumismus, Ausbeutung und Zerstörung der Natur.
Die rechte Seite zeigt die Farben der SDGs, die wie ein Lichtreflex von der Erde ausgehen, sie weisen den Weg zu mehr Solidarität und Gemeinschaft, auch werden die verschiedenen Formen von Protest und Widerstand auf globaler Ebene gezeigt. Zwischen den beiden Seiten steht eine gespaltene Erde, die auch eine Art Symbol für die geteilten Meinungen ist. Die Erde ist von einer riesigen Kette gefangen, Symbol für Ausbeutung, Sklaverei und Abhängigkeit. Aber diese Kette wird symbolisch von zwei Menschen gezogen, wodurch sie versuchen die Erde zusammenzuhalten oder wieder zu vereinen und so auch symbolisch die Meinungsverschiedenheiten versöhnen.
Im oberen Teil sieht man einen Eisbären, einen Brüllaffen, einen Kolibri (Bogota sunangel; ausgestorben), einen Vaquita (kalifornischer Schweinswal) und einen Walhai, alles extrem bedrohte oder bereits ausgestorbene Tierarten, die hier stellvertretend für alle bedrohten Spezies stehen sollen.
Beschreibung linke Wandseite
Statement des Künstlers – Anetang Daniel Kwaku (MagzyART GH)
Ohne die Fähigkeit, eine Idee und ein Konzept zu verwirklichen, gäbe es keine Kunst. Meine Wandmalerei ist eine ständige Suche nach dem besten Weg, die konzeptionellen Ideen, die ich über die Welt und über mich selbst habe, zu interpretieren. Jedes Element, das auf diesem herausragenden historischen Wandgemälde dargestellt ist, hat seinen Ursprung in der Vergangenheit, woher ich komme und was ich von der Natur gelernt habe, sowie einen Ausblick in die Zukunft und wohin ich gehe. Ich erforsche die emotionalen Verbindungen zu den siebzehn Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), einem universellen Aufruf zum Handeln, um die Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und allen Menschen Frieden und Wohlstand zu sichern.
Die linke Seite meines Gemäldes zeigt die Umarmung des Friedens mit einer Friedenstrommel, ein kulturelles ghanaisches Symbol, das sich in einer Einheit mit der einer warm schattiert glänzenden afrikanischen Landkarte befindet.
Kinderarbeit/Bildung ist das Thema in der Mitte meines Kunstwerkes. Es zeigt ein armes Mädchen mit angeketteten Händen und einem Bücherstapel. Sie befindet sich in der Gefangenschaft zu arbeiten und zu verkaufen anstatt im Klassenzimmer zu lernen.
Der rechte Teil des Bildes symbolisiert den Klimawandel: mit einem Mann, einem Baum und einer Weltkugel, die den Planeten mit Bäumen darstellt, deren Blätter aufgrund der hohen Temperaturen – die das Thermometer mit seinen warmen Farben anzeigt – fortgeweht werden.
In meiner Malerei habe ich visuelle Ebenen und geometrische Formen eingefangen, die sich überschneiden, überlagern, auftürmen und schließlich ein Gefühl von visueller Distanz und Illusion schaffen.
Die Schaffung von emotionalen Kunstinterpretationen von Themen aus der Natur und meiner Lebenserfahrung ist mein Lebensinhalt. Ich bin ein zeitgenössischer, vielseitiger ghanaischer Künstler aus Tamale, mit Spezialisierung auf Malerei und Bildhauerei an der „School of Creative Arts“ (University of Education, Winneba) in Ghana. Wenn ein Betrachter nur einen Moment innehält, um das von mir geschaffene Werk zu betrachten und darüber nachzudenken, dann war ich erfolgreich in meiner Arbeit.
Entstehungsprozess
Beteiligt an dem Kunstwerk waren der kolumbianische Künstler Jorge Hidalgo aus Münster und Daniel Kwaku Anetang, ein ghanaischer Künstler aus Tamale, welcher im Rahmen der neuen Projektpartnerschaft zwischen Münster und Tamale anreiste.
Die gut 760 Schülerinnen und Schüler des Ratsgymnasiums wurden von Anfang an in den kreativen Prozess mit einbezogen: Zu Beginn des Projektes gab es innerhalb der gesamten Schülerschaft eine Umfrage, welche der 17 Weltnachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) ihnen persönlich für die Zukunft am wichtigsten sind. Die Themen des Wandbildes wurden so auf folgende priorisierte Nachhaltigkeitsziele eingegrenzt: SDG 16 „Frieden / Gerechtigkeit / starke Institutionen“, SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“, SDG 3 „Gesundheit / Wohlergehen“, SDG 5 „Geschlechtergerechtigkeit“ sowie SDG 1 „Keine Armut“.
In vier anschließenden Workshops wurde – unter der Leitung des Künstlers Jorge Hidalgo und von Max Trussat von Vamos e.V. – in einem kreativen und partizipativen Prozess mit Schülerinnen und Schülern an einer gemeinsamen Skizze des Wandbildes gearbeitet. Daniel Kwaku Anetang bereicherte die Skizzenbilder in einem digitalen Prozess von Ghana aus durch eigene Skizzen und Diskussionsbeiträge zu den SDGs. Vom 21.09. bis 05.10.2022 war er aktiv in den Malprozess in Münster einbezogen. Neben den künstlerischen Aspekten war auch der diskursive Prozess zu den Themen der Nachhaltigkeit ein wichtiger Bestandteil der Arbeit.
In einem letzten Schritt wurde vom 11.09. bis 16.10.2022 das Wandgemälde unter reger Beteiligung von Schülerinnen und Schülern auf die Fassade gemalt. Das Projekt wurde filmisch von dem ghanaischen Studenten Elikem Ayeke des Studienganges Visual Anthropology, Media and Documentary Practices an der WWU sowie Daniel Pineda begleitet. Am 18. Oktober 2022 wurde das Kunstwerk schließlich durch Oberbürgermeister Markus Lewe feierlich eingeweiht.
Das Wandbild befindet sich gut sichtbar an der neuen Veloroute zwischen Münster und Telgte. Es verdeutlicht die Wichtigkeit der Nachhaltigkeitsziele für eine krisenfeste und zukunftsfähige lokale aber auch globale Entwicklung und verankert sie fest im Stadtbild.
Musik zum Wandgemälde
„Ist die Mona Lisa noch ästhetisch gelungen, wenn niemand sie mehr betrachten kann?“ Diese und andere Fragen stellten sich Schüler:innen bei einer Unterrichtsreihe zum Ästhetischen Streit und stellten selbstständig Musikstücke zu ausgewählten Abschnitten des Nachhaltigkeits-Wandgemäldes kreativ her. Melodische und ästhetische künstlerische Produkte schaffen war nicht das einzige Ziel: Es ging auch darum, sich die Schüler:innen mit ihrem Verständnis von Nachhaltigkeit auseinandersetzten. Tauchen Sie ein und schauen Sie sich die Melodien mit den Wandbildausschnitten auf YouTube an!
Adresse des Wandbildes
Das Projekt wurde vom entwicklungspolitischen Verein Vamos e.V. initiiert und entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Büro Internationales im Amt für Bürger- und Ratsservice der Stadt Münster sowie dem Ratsgymnasium. Das Gesamtprojekt wurde durch die Stadtverwaltung der Projektpartnerstadt Tamale in Ghana unterstützt.
Das Projekt wurde finanziell, materiell und fachlich unterstützt durch „die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ mit Mitteln des BMZ, das Bistum Münster, den Beirat für kommunale Entwicklungszusammenarbeit, Brillux, die uns die Farben gespendet haben, den Deutschen Alpenverein Sektion Münster, den Förderverein des Ratsgymnasiums, die Sparkassenstiftung, die Volksbank, den Malerbetrieb Sander sowie private Spender:innen.